Die Glocken von Iserlohn

Es geht um die 40 Glocken, die in den 80iger Jahren in Iserlohn mit Spendengeldern gegossen und der Stadt Potsdam zur Wende übergeben wurden mit der Idee, diese Glocken im Turm der Garnisonkirche zu installieren, wenn die Kirche mal wieder aufgebaut sein würde. Einige dieser Glocken tragen nun zur Verunstimmung bei und erzeugen Missklänge. Eigentlich sind es nicht die Töne, die sind wohl ganz in Ordnung. Es ist eher der Ton der Inschriften der d´´´, dis´´´, e´´´ und f´´´ Glöckchen, der schweren c´Glocke und der kleinen cis´´ Glocke, der für Dissonanz sorgt. Es geht genauer gesagt um die Inschriften auf den Glocken und noch genauer ums Prinzip.

Erstmal zu den Inschriften. Inschriften auf Glocken sind seit dem 11. Jahrh. üblich.

Die Glocke ist nicht nur Musikinstrument und Klangträger, sie ist auch Trägerin wichtiger Botschaften.

Glockeninschriften sind, wie Inschriften auf Grabmalen ein Denkmal vergangener Zeit, eine Stätte der Erinnerung, ein Ort, an dem Inschriften einen wichtigen Teil der Botschaft an die Nachwelt senden.

Da die Glocke allerdings nicht nur ein Wert als ein Musikinstrument, sondern auch als Kunstwerk besitzt, wird sie dementsprechend durch eine äußerlich ansprechende Inschrift und Verzierung künstlerisch und damit auch liturgisch aufgewertet.

Inschriften auf Glocken haben denselben Stellenwert wie Inschriften auf Grabmalen. Sie beinhalten Botschaften, Wünsche und Sehnsüchte der Zeit, in der sie zur Inschrift geworden sind. So werden Inschriften über die Zeit zum Kulturgut. Die Deutung einer Inschrift ermöglicht uns, eine vergangene Zeit (Epoche, Kultur, Gesellschaft, …) zu verstehen.

Inschriften müssen nicht richtig sein und können nicht falsch sein. Inschriften sollten nicht aus der jeweils aktuellen Sicht kritisiert werden. Man würde keine Inschrift aus einer vergangenen Zeit entfernen, weil sie z.B. nicht mehr heutiger Rechtschreibung entspricht oder weil sie z.B. nicht mehr unseren heutigen politischen, gesellschaftlichen und technischen Werten und Erkenntnissen entspricht. Es ist bedeutsamer, eine Inschrift in ihrem Entstehungs-Kontext zu verstehen als sie im Lichte der aktuellen Entwicklung auf Richtigkeit zu prüfen.

Das auf Initiative von Oberstleutnant Max Klaar in Iserlohn über Spenden finanzierte Glockenspiel verband den damaligen Wunsch nach dem Wiederaufbau der Garnisonskirche mit der Hoffnung auf Wiedervereinigung.

Kritik am Wiederaufbau der Garnisonskirche.

Natürlich ist die Garnisonkirche ein Symbol des Militarismus. Schließlich ist sie zur Zeit des Soldatenkönigs entstanden und ist ein Zeuge einer Zeit, in der das Heer das Prestige des Staates prägte. Kirche und Staat standen damals in einer anderen Beziehung zueinander, als das heute der Fall ist. Die Garnisonskirche ist aber wichtiges Kulturgut, Kulturerbe und ein wichtiger Teil des kulturellen Fundaments, auf dem wir gründen.


Kritik an den Inschriften des Glockenspiels.

Die Inschriften der 40 Glocken sind von ihren jeweiligen Auftraggebern und Spendern der frühen 80iger Jahre verfasste Botschaften. Ein kleines Bisschen vergleichbar mit Botschaften in der Flaschenpost, von der man hoffte, sie werde in einer anderen Zeit (nach der Wiedervereinigung) in einem anderen Land (im wiedervereinigten Deutschland) landen. Natürlich haben die Inschriften einen militärischen Bezug, und zwar aus einem militärischen Selbstverständnis der frühen 80iger Jahre. Wiedervereinigung war in dieser Zeit ein zwar utopisches, aber sehnsüchtig verfolgtes gesellschaftliches Ziel. Die heute kritisierten Inschriften sind in diesem Kontext zu verstehen.

Kommen wir zum Prinzip. Wenn es ums Prinzip geht, dann wird ja meistens ein lauter Ton angeschlagen. So wie hier auch. Die Glocken sind Wessis, sie kommen aus den 80igern und aus einer Kaserne der Bundeswehr. Sie sollen jetzt auf dem Kirchturm derjenigen Kirche montiert und regelmäßig angeschlagen werden, die mit weiterem Baufortschritt das Rechenzentrum verdrängen wird. Wobei Fortschritt bedeutet, dass fast das allerletzte Gebäude der DDR Baukultur nun auch noch unter den Abrißbagger kommt.

War ja schon die Trauer beim Abriss der Fachhochschule deutlich sichtbar. Aber mit dem Rechenzentrum verlieren Potsdamer Zeitzeugen der DDR ein letztes Stück ihrer Identität und müssen obendrein um ihre Kosmos Glasmosaike bangen, während junge Potsdamer ihr Kunst und Kreativhaus verlieren. Da heisst es jetzt „Keine Mosaike – keine Glocken“. Ok, ganz so trivial ist es nicht. Aber klar und verständlich ist es doch, dass beide Seiten miteinander ins Gespräch kommen.

Vielleicht bauen wir einen Mosaik- und Glockenpark, einen begehbaren Identitätsraum deutscher Geschichte. Die 40 Glocken kommen ohnehin nicht auf den Turm der Garnisonskirche, die bekommt ganz neue. Vielleicht mal mit zeitgemäßen Inschriften „corona#dislike“ oder so. Aber die 40 teils dissonant klingenden Glocken in einem Park vereint mit den 18 Glas-Mosaiken des alten Rechenzentrums, das wäre doch mal ein spannungsreicher Zusammenschnitt Deutscher Geschichte. Beide Kunstwerk-Ensembles stammen aus dem Kalten Krieg, beide sind Symbol der jeweiligen militärischen Überlegenheit. Tonnenschwere Glocken von der Bundeswehr und 18 gewaltige Heldenbilder der Überlegenheit Russischer Raumfahrt. Heute bequem von der Parkbank aus zu betrachten, ein Raum, in dem Veteranen beider „Blöcke“ gemeinsam resümieren können, wie friedlich sich diese Konfrontation in Luft aufgelöst hat.

Schweres Geläut

Nun 20. März 2020 ist es da. Das Gutachten des Leibniz Zentrum für Zeithistorische Forschung. Der Antrag der Linken und der Grünen, die Glocken einzuschmelzen, wird im Geläut der Glocken untergehen.

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